Werke: © Heiner Blumenthal und VG Bild-Kunst, Fotos: © Eberhard Weible und VG Bild-Kunst
Zurzeit wird die Malerei wieder als Leitmedium der bildenden Kunst gefeiert. Im Zeitalter der fortschreitenden Digitalisierung, in dem das Leben zunehmend von Algorithmen bestimmt und in sozialen Netzwerken gelebt wird, übt die Malerei mit ihrer greifbaren Materialität und ihrem Einmaligkeitsversprechen eine neue, alte Faszination aus, und das Künstlerleben im Atelier bietet sich als Projektionsfläche für Vorstellungen von einem selbstbestimmten, nicht entfremdeten Arbeiten an.
Das künstlerische Projekt von Heiner Blumenthal scheint mit seinen großformatigen, abstrakt wirkenden Gemälden gut in diese aktuelle Konjunktur zu passen. Gleichzeitig verfolgt Heiner Blumenthal sein Vorhaben jedoch so kontinuierlich, dass es sich dem Begriff der Konjunktur, der auch in der Kunstwelt so hohen Stellenwert hat, entzieht.
Um dieses Vorhaben auf eine knappe Formel zu bringen, kann eine historisch aufgeladene Frage dienen: „Ist das ein Bild?“ Das Zitat verweist auf einen der Zusammenhänge, aus denen die Arbeit von Heiner Blumenthal hervorgeht. Jackson Pollock soll diese Frage Lee Krasner gestellt haben, als er seine ersten Drip-Paintings entwickelte. In Heiner Blumenthals Malerei verweist die anfängliche Bearbeitung der auf dem Boden liegenden Leinwand und die erkennbare Eigendynamik dünnflüssiger Farbe, welche die ungrundierte Leinwand einfärbt, auf den Abstrakten Expressionismus – allerdings ohne Zeichen von „Expression“. Zu sehen sind vielmehr palimpsestartige Überlagerungen, in denen Angedeutetes und Ausformuliertes ein Spannungsverhältnis erzeugt. Dass die Gemälde – Entwürfen in Originalgröße ähnlich – in einem langsamen Prozess konstruiert werden, korrespondiert mit ihrer gleichzeitig reduzierten und reichen Formensprache. Diese erinnert oft an architektonische Grundrisse oder gerüstartige Strukturen, ohne dass gegenständliche Assoziationen jemals die Oberhand gewinnen. Und auch die Leerflächen der Leinwände dienen einer prinzipiellen Offenheit, die den Prozess der Entstehung des Bildes ebenso kennzeichnet wie den seiner Wahrnehmung als physisches Gegenüber der Betrachterinnen und Betrachter im Raum.
Die Frage danach, was ein Bild ist, beharrlich zu stellen, bedeutet auch, der Versuchung zu widerstehen, eine einmal gefundene Lösung zum Schema zu erheben und auszubeuten. Heiner Blumenthal zieht es vor, das Erreichte als vorläufiges Ergebnis anzusehen und weiter zu experimentieren.
Eine der Herausforderungen, denen sich die Kunst der Moderne zu stellen hatte, war bekanntlich das Problem der Reproduzierbarkeit. So bezieht Heiner Blumenthal gelegentlich die Fotografie auf eine Weise in sein Werk ein, die sie der Malerei ebenbürtig erscheinen lässt. Dies ist offenkundig keine Frage von Formaten, denn die Schwarzweißfotografien sind nicht größer als ein gewöhnliches Blatt Papier. Heiner Blumenthals Umgang mit der Fotografie liest das Medium sichtlich gegen den Strich: Weder wird ein „entscheidender Moment“ festgehalten, noch wird eine unverstellte Sichtbarkeit suggeriert. Wie seine Gemälde kreisen auch seine (Meta-)Fotografien um die Frage, was ein Bild ist – in narrativer, emotionaler und technisch-medialer Hinsicht.
So lässt sich im Werk von Heiner Blumenthal keine Sehnsucht nach einem Leitmedium erkennen. Sowohl innerhalb seiner Bilder als auch in ihrem Verhältnis zueinander findet sich vielmehr ein nichthierarchischer Zug, eine sorgsame, fast unaufhörliche Suche nach einem (Un-)Gleichgewicht von Kräften. Vielleicht ist es das, was das künstlerische Projekt von Heiner Blumenthal aktuell so dringlich erscheinen lässt.
Currently, painting is once again considered the preeminent medium in the fine arts. In an age of proliferating digitization, in which our lives are increasingly directed by algorithms and lived within social networks, painting with its tangible materiality and uniqueness exerts a new, yet old fascination in which the idea of artistic life in the studio provides a screen for the imagination on which to project an image of creative work that is self-determined though not isolated.
Heiner Blumenthal’s artistic work with its large-format, ostensibly abstract paintings seems to fit well into the current economy. At the same time, the artist pursues his work so productively that it makes superfluous any consideration concerning the current economy which has now become so crucial in the art world market.
To assess this project by means of a simple formula, a reference to a historic question may be appropriate, “Is this a painting?” The quotation addresses a context from which Heiner Blumenthal’s work originates and is attributed to Jackson Pollock who is said to have posed this question to [his wife, and fellow artist] Lee Krasner when he embarked upon his first drip painting. In Heiner Blumenthal’s painting the position of the canvas on the floor and the evident momentum contained in the brush strokes along with the unchecked runs of the paint color that tints the unprimed canvas makes a direct reference to Abstract Expressionism, although in this case without suggestion of “expression”. The results suggest a palimpsest, the overlays upon which the implied and the formulated create a relationship of tension. The paintings are made in a gradual process and possess a correspondingly rich language of form which is often reminiscent of architectural floor plans or scaffold-like structures, and lack any representational associations. Furthermore, the empty surfaces of the canvases serve as an element of openness focusing the painting’s process of creation and its perception as a physical counterpart to the viewers within the space.
To persistently ask the question, “what is a picture”, also strengthens resistance to the temptation to exploit an already used solution, to refrain from repeating oneself; Heiner Blumenthal prefers to regard what is accomplished as a provisional result and to then continue to experiment further.
One of the challenges that modern art has had to confront has certainly been that of the problem of reproducibility. Heiner Blumenthal occasionally includes examples of his photography with his works in such a way that is complementary to the painting. This is not a question of format choice and his black and white photographs are significantly smaller in size than his canvases and his use of the media in this context is undeniably regarded as unconventional: No “decisive moment” is intended, neither is genuine visibility suggested. As with his paintings, his (meta) photographs are intended to address the question of what a picture is – in terms of narrative, emotional response, and technical application.
No gravitation towards a central predominant medium can be recognized in Heiner Blumenthal’s work. Rather, in his paintings and in their relationship to each other a non-hierarchical tendency is found, a careful, insistent pursuit toward an (im-)balance of power. Perhaps it is this that makes Heiner Blumenthal’s current artistic project seem so urgent.
Text: Barbara Hess
Übersetzung / Translation: Uta Hoffmann
Geboren 1956 in Idar-Oberstein, Deutschland. Lebt und arbeitet in Köln seit 1989 Born 1956 in Idar-Oberstein, Germany. Lives and works in Cologne since 1989
Studium / Education:
1981–87 Studium der Freien Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (bei Franz-Erhard Walther, Stanley Brouwn)
1978–81 Studium der Freien Kunst an der Hochschule der Künste Berlin (bei Fred Thieler, Walter Störer)
Stipendien und Auszeichnungen / Grants and awards:
2010 Fassbinder-Preis, Brühl
2007 Esther and Adolph Gottlieb Foundation, NYC
2000 Elizabeth Foundation, NYC
2000 Pollock-Krasner Foundation, NYC
1999 Villa Romana Preis, Florenz
1993 Förderkoje, ART COLOGNE, Galerie Jürgen Becker
1993 Kunstfonds Bonn Förderpreis, Bonn
1992 Cite' des Arts, Paris
1989 Karl Schmidt-Rottluff Stipendium
1988 Arbeitsstipendium der Hansestadt Hamburg
1987 Prix Art-Press, Marseille
Einzelausstellungen (Auswahl) / Solo exhibitions (selection):
2017 White sky, blue clouds, Westwerk, Hamburg
2015 space spy, RaumX, London
2013 Galerie Burmester, Bergen auf Rügen
2011 Open/ Close- Chimäre, Stadtmuseum Siegburg, Siegburg (K)
Open/ Close, Emschertal-Museum, Herne (K)
2010 A hand-off between, Devening Projects, Chicago
Fassbender-Preis, Brühl
2008 Galerie NihilNisi, Berlin
2007 If, Galerie Jöllenbeck-Michael Nickel, Köln
2006 Artothek, München
2005 Pigs are wintersnow , Galerie Barbara Oberem, Bonn
2004 Katze an Bar, Galerie Jöllenbeck-Michael Nickel, Köln
2001 Neue Galerie Landshut – Knie, Agentur für zeitgenössische Kunst, Christoph Grau, Hamburg
1997 Wiese, Peking Kunstausstellungen, Berlin
1995 Wie herum, Artothek, Köln
Fell/Auge, Künstlerhaus Weidenallee, Hamburg (K)
1994 Sammlung Scheuermann, Köln
1992 Galerie Jürgen Becker, Hamburg
1991 Sammlung Scheuermann, Köln
1990 Galerie Jürgen Becker, Hamburg (K)
Gruppenausstellungen (Auswahl) / Group Exhibitions (selection):
2018 Monsters of Drawing, Feinkunst Krüger Hamburg
2017 Strichstärke, Petersburger, Köln
Um die Ecke, (mit Bernhard Peters) Labor Projektgalerie, Köln
2016 Boardwalk, Neue Galerie Landshut (mit Britta Bogers)
freshtest 2.0, Kunstverein-Koelnberg, Köln (mit Britta Bogers, Friedhelm Falke, Thomas Kemper, Klaus Kleine u.a.)
Kleine Gesellschaft für Helldunkel, Hamburg (mit Jürgen Albrecht, Achim Hoops u.a.)
2015 Zeichnung 5, Galerie der Spiegel, Köln (mit Raimund Girke, Dieter Krieg, Bernhard Peters, Markus Lüpertz u.a.)
2014 Köln um halb acht, Temporary Gallery, Köln (mit Maik u. Dirk Löbbert, Uschi Huber , Jürgen Stollhans u.a.)
2013 Noch nie Gesehenes, Kunstmuseum Bonn, Neuerwerbungen der Graphischen Sammlung
2012 Linien, dok25a, Düsseldorf (kuratiert von Ludwig Seyfarth und Nora Schattauer) Jazz, Museum Villa Stuck, München (mit Martin Wöhrl, Martin Fengel, Gregor Hildebrandt, James Reineking, u.a.)
2009 Die Gegenwart der Linie, Staatliche Graphische Sammlung, München
2008 Inventur- Zeitgenössische Radierung in Deutschland, Kunstverein Reutlingen (K)
Pablo Picasso-Museum, Münster (K)
2005 Bonn Biennale, Schlosskirche, Bonn
100 Jahre Villa Romana, Stiftung Weimarer Klassik, Weimar (K)
Via Senese, Fuhrwerkswaage, Köln (K)
2004 Neuerwerbungen und Entdeckungen, Graphische Sammlung, Staatsgalerie Stuttgart
2002 Galerie S 65, Aalst
2001 Fotographische Sammlung, Folkwangmuseum Essen (K)
Köln-Kunst, Josef-Haubrich-Kunsthalle, Köln (K)
1999 Salone Villa Romana, Florenz (mit Vincent Tavenne, Daniel Knorr, Andreas Bunte) (K)
1996 Köln zur Zeit, Stadtgalerie im Sophienhof, Kiel (K)
Bon direct, Bonner Kunstverein, Bonn (K)
1993 Scheinwerfer, Kunsthaus, Hamburg (K)
1991 Stipendiaten Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendium, Kunsthalle, Düsseldorf (K)
1989 Neue Kunst in Hamburg, Halle 3 Kampnagel, Hamburg (K)
Hamburger Künstler, Malmö (K)
1988 Stipendiaten Hamburg Stipendium, Hamburg (K)
1988 Germinations 3, Marseille / Breda / London / Bonn (K)
1987 Jürgen-Ponto-Stiftung, Kunstverein Hamburg, Hamburg (K)
Kunstverein Frankfurt, Frankfurt
1983 Ellenbogen, Künstlerhaus Weidenallee, Hamburg (mit Klaus Hohlfeld)
Arbeiten in Sammlungen / Works in collections:
Arkansas Arts Center, Little Rock
Busch-Reisinger Museum, Cambridge
Folkwang Museum, Essen
Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart
Hamburger Kunsthalle
Kunstmuseum Bonn
Museum Ludwig, Köln
Orlando Museum of Art, Florida
Staatliche Graphische Sammlung, Pinakothek München
ThesArte, Frankfurt
PWC Hamburg
Werner Kramarsky, New York
Artothek, Köln
Artothek, Bonn
Artothek München
https://www.heinerblumenthal.de/